Lieder aus Theresienstadt und
der Zeit davor

(Ars Produktion 2003)

Frieder Anders, Bariton Stella Goldberg, Klavier

Sie stellt die erste gemeinsame CD aus dem Jahr 2003  Lieder der jüdischen Komponisten Pavel Haas, Hans Krása und Viktor Ullmann vor, die in Theresienstadt interniert waren und 1944 in Auschwitz ermordet wurden.

„Haas, Krása und Ullmann zeigen sich mit recht unterschiedlichen Profilen – von neusachlich–romantisch bis quasi zwölftönig. Der hohe, angenehm timbrierte Bariton Frieder Anders interpretiert sie auf eine schlichte, referierende Art. Das passt nicht schlecht zum Gestus der „chinesischen Höflichkeit“, durch den ein erheblicher Teil der auf fernöstlicher Lyrik basierenden Gesänge geprägt ist. Besonders ansprechend: die souveräne Pianistin Stella Goldberg.“ (Hans-Klaus Jungheinrich, FR 11.12.03)

„Anders subtile Wort-Tongestaltung macht die Wiedergabe von Ullmanns klangintensiver, lebendiger Musik der Lieder nach C.F.Meyer zu einem besonderen Hörerlebnis. Die Mischung optimistischer Elemente und einer verhaltenen Tonsprache, die für die…vier Lieder nach übersetzten Gedichten aus der Tang-Dynastie von Haas charakteristisch ist, bringt er mit Deutlichkeit anrührend zum Ausdruck. Und wo sich seine Stimme frei und überlegt entfaltet, gewinnt sein Vortrag an poetischer Kraft. Stella Goldberg unterstützt den Bariton mit klarem, präsentem Spiel…“ (Prager Zeitung online, 1.10.03)

„Der Frankfurter Bariton Frieder Anders nimmt sich dieser bedeutenden und unbedingt bewahrenswerten Musik gemeinsam mit der russischstämmigen Pianistin Stella Goldberg an. Er verfügt dabei über eine eher schmale, klangschöne Stimme, deren Einsatz in der vorsichtigen Ausdeutung der teils fragilen Lieder manchmal zu verhalten, zu kontrolliert wirkt. Dabei ist mit Stella Goldberg eine souveräne und gestaltungsmächtige Begleiterin zu hören, deren Spiel, auf einem hohen technischen Niveau stehend, künstlerische Potenz verrät…Deutliche Stärken der Aufnahme liegen dagegen in der Wahl der Tempi, die als sehr glücklich und hervorragend abgestuft zu bezeichnen ist.“ (klassik.com, 19.05.04)

Vieles in der Suite ist hartnäckig unlyrisch und disharmonisch, was das Hören auf widerspenstige Weise erschwert und zweifellos zur unverhältnismäßig kleinen Anzahl von Tonaufnahmen beigetragen hat. Insofern muss man die Entscheidung des Frankfurter Sängers Frieder Anders und der Pianistin Stella Goldberg, die seit zehn Jahren mit ihm zusammenarbeitet, gerade mit diesem Werk ihre erste Schostakowitsch-Aufnahme zu produzieren, als mutig bewerten. Sie können sich problemlos neben den beiden anderen erhältlichen Versionen behaupten, namentlich einer Aufnahme mit dem Bass Fyodor Kuznetsov mit Yuri Serov am Klavier (Delos DE 3317; besprochen in DSCH Nr. 23) und dem jüngst wiederveröffentlichten 1977 Recital des Baritons John Shirley-Quirk mit dem Pianisten Vladimir Ashkenazy (in der 5-CD Ausgabe der Vokalwerke bei Decca, 4757441).

Anders hat eine warme, offene Stimme und wählt fast durchgängig einen ehrfürchtigen Ton in der Michelangelo-Suite. Der eher rauhstimmige Kuznetsov zieht einen etwas gefühlsbetonteren, dramatischen Ansatz vor, während Shirley-Quirk häufig kühler wirkt. In Der Morgen, zum Beispiel, teilt Anders die beinahe religiöse Ehrfurcht des Michelangelo vor der Weiblichkeit der neben ihm Liegenden mit; im Gegensatz dazu drückt Kuznetsov jugendlichen Erwartungsdrang aus, während es Shirley-Quirks expansiver Behandlung desselben Liedes an Eindringlichkeit fehlt. Im herzzerbrechenden Madrigal Trennung trifft Anders den flehentlichsten Ton, wobei er als Einziger das Wort ‚Madonna‘ mit einem Akzent der tiefen Verehrung versieht. Obwohl er den Spott nicht zum Ausdruck bringt, der von Kuznetsov und Shirley-Quirk dem Wort ’schnöde‘ in Nr.7 (An den Verbannten) auf fast ätzende Weise verliehen wird, trifft er genau den Ton der gerechten Leidenschaft im vorhergehenden Lied, in dem er Partei für Dante ergreift.

Goldberg, eine ehemalige Klavierschülerin von Lev Oborin, stellt einen starken existenziellen Kontrapunkt zum ehrfürchtigen Ton von Anders her. Ihre Darstellung unterscheidet sich am meisten von den anderen beiden Pianisten im ersten Sonett, Wahrheit. Auf Coviello Classics dauert diese schneidende Anklage gegen die Ungerechtigkeit der Macht 4:41, wobei Goldberg die agogische Ungemütlichkeit der Klavierbegleitung betont. Auf Delos spielt Serov viel flüssiger und braucht 30 Sekunden weniger; Ashkenazy wählt einen regelmäßigeren Schritt trotz des bemerkenswert langsamen Tempos der sechsminütigen Decca-Aufnahme. Am Anfang von Schaffen stellt Goldberg auf passende Weise die rhythmische Beliebigkeit der Hammerschläge des Bildhauers dar. Grund zur Kritik hätte ich höchstens wegen ihrer geringfügigen Zurückhaltung im fünften Stück, Zorn, in welchem Serov die Wut hervorkehrt und Ashkenazy vor Zorn fast erbebt, so dass der Rhythmus geradezu wackelt. Möglicherweise werden einige Zuhörer die unheimliche Unbeweglichkeit vermissen, die Ashkenazy in Die Nacht darstellt – hier verweilen er und Shirley-Quirk dergestalt, dass sie 17 Sekunden länger als Goldberg und Anders (4:29) brauchen, was einen gefühlsmäßig signifikanten Unterschied bedeutet (Kuznetsov und Serov bringen die gleiche Strecke in 3:55 hinter sich und machen einen fast beiläufigen Eindruck). Dabei bietet Goldberg hier eine durchaus beachtliche Alternative, indem sie dem Stück einen wärmeren Ton verleiht als ihre Konkurrenten und dadurch diesen Satz als willkommene Oase der Ruhe innerhalb der Suite gestaltet (…)

Coviello Classics hat die Künstler mit einem wohligen Hall aufgenommen, ohne die nötige Klarheit zu opfern. Für alle Texte gibt es englische und deutsche Übersetzungen, aber leider wurden die russischen Originaltexte nicht aufgenommen, die im Falle der Michelangelo-Suite bei Delos und bei Decca in transliterierter Form angeboten werden. Sowohl Coviello als auch Decca verwenden dieselbe englische Übersetzung von Sarah und Eric Walter White, die der unidiomatischen Version von Sergey Suslov in jeder Hinsicht überlegen ist. Anders hat das vorzügliche Programmheft, das von weitreichenden Fachkenntnissen zeugt, selber verfasst – und fügt für jedes der Michelangelo Gedichte eine kurze Erklärung seines ursprünglichen Kontextes bei, eine Zugabe, die bei Delos und Decca fehlt und hier den Wert einer bereits sehr ansehnlichen Produktion nur steigern kann“.

Mark Roberts (Deutsch: Martin Walker)

DSCH JOURNAL No. 27 – July 2007

World Poetry in Russian Music

(Coviello 2006)

D.Schostakowitsch, Suite auf Worte von Michelangelo Buonarotti, op. 145;
D.Kabalevsky: Vier Shakespeare Sonette Nr.2, 4, 5 and 7 aus Zehn Shakespeare-Sonette, op. 52;
Gawrilin: Vier Heine-Lieder, Nr. 1, 4, Interludium, 8 und 11 aus Deutschen Heften II[a].